Basierend auf dem Vortrag von Theo Haas, am 31. August 1986 in Domat/Ems GR

 

 

 

Wie Gregor Brunner in seiner Arbeit „Wappen und Hausmarken der Geschlechter von Doman/Ems“ erwähnt, wird das Geschlecht Willi von Domat/Ems erstmals urkundlich 1395 im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Hofstatt in Ems erwähnt. Willi gehört somit neben den Geschlechtern Chresta, Federspiel und Seglias zu den ältesten Familiennamen des Dorfes.

 

Wer heute in Ems genealogische Nachforschungen betreiben will, stösst dabei bald einmal auf Schwierigkeiten. Beim Dorfbrand von 1776 ist leider auch das Pfarrarchiv eingeäschert worden. Wohl wurden durch den damaligen Dorfpfarrer Pedretti eine Rekonstruktion der noch erfassbaren Daten erstellt, wofür wir ihm dankbar sind. Aus nahe liegenden Gründen konnten diese nachträglichen Aufzeichnungen jedoch nicht mehr vollständig sein.

 

Wir können davon ausgehen, dass es um das Jahr 1700 im Dorf schon mindestens vier Willi-Linien gab, welchen untereinander keine nähere Verwandschaft mehr nachgewiesen werden kann. Diese vier Linien stehen auch heute noch in voller Blüte.

 

Stammvater unserer Linie ist Martin Willi. Das Stammhaus unserer Vorfahren befand sich in der sog. „Curt Vèdra“ (alter Hof) im Dorfteil „Crestas“ und ist leider 1963 durch einen Brand völlig zerstört worden. Beim Abtragen der Brandruine wurde unter dem Fassadenputz ein Holzbalken mit den Initialen M.W. gefunden und sichergestellt. Martin Willi dürfte etwa um 1680 geboren sein. Aus seinen drei eingegangenen Ehen gingen vier Kinder (3 Söhne und 1 Tochter) hervor. Leider wissen wir nicht, wann Martin Willi gestorben ist. Sein Sohn Jacob (1720 – 1793) verheiratete sich ebenfalls 3mal und aus diesen Ehen stammten insgesamt fünf Kinder (3 Töchter und 2 Söhne). Sein für uns massgebender Sohn Johann Georg (rom. Gion Gierè) lebte von 1748 bis 1832. Dieser hatte u.a. einen Sohn Hans-Antunè. Hans-Antunè war der Grossvater der Mechanikers Willy im Sand (Chur). Er war von Beruf Müller und Säger und lebte von 1775 bis 1847.

 

Über ihn fanden wir kürzlich in einem alten „Bündner Tagblatt“ (BT, No. 25, 30.1.1898) die folgende Anekdote, welche sich während der Wirren von 1799 bei Reichenau abgespielt haben soll. Einige französische Offiziere sollen mitten auf dem Platze in Reichenau Rat gehalten haben. Willi fragte seine Kameraden, welchen er aufs Korn nehmen solle. „Den in der Mitte“, war die Antwort. Sofort fiel der Schuss und der genannte Offizier stürzte zu Boden.

 

Hans-Antunè konnte jedoch durch diese Tat nicht verhindern, dass sein älterer Bruder, Thomas Joseph, anfangs 1807 ausgerechnet in französische Kriegsdienste trat. Als Füsilier diente er im II. Schweizerregiment (1. Bat, 1.Kp) und beteiligte sich unter Kaiser Napoleon I. am Spanien Feldzug. Er starb, erst 26 jährig, im Militärspital von El Ferrol in Nordspanien.

 

Bei der nächsten Generation begegnen wir dann Johann Georg Willi. Er lebte von 1803 bis 1877 und betätigte sich, wie sein Vater, als Müller uns Säger. Seine handwerklichen Fähigkeiten sollen hervorragend gewesen sein. Da er während seines Lebens eine grössere Anzahl Pump- und Ziehbrunnen im Dorf errichtete und offenbar auch für eine einwandfreie Wasserspeisung der beiden grossen Hauptbrunnen im Dorf von den Maiensässen her verantwortlich war, wurde er bald als „Gion Gierè Brunnameister“ in Ems bekannt Diese Bezeichnung übertrug sich später auf seine Nachkommen und wird im Dorf heute noch ab und zu von der älteren Generation verwendet.

 

Gion Gierè verheiratete sich mit Maria Cath. Walch, welche ihm sechs Kinder schenkte (4 Söhne und 2 Töchter). Sie starb erst 50 jährig. Johann Anton Walch, ihr einziger Bruder diente sechse Jahre als Tambour im dritten Schweizerregiment in Neapel und starb 1862 in Paris.

 

Nach dem frühen Tod seiner Frau heiratete Gion Gierè Maria Cath. Decurtins aus der Surselva. Aus dieser 2. Ehe gingen drei Töchter hervor. Die jüngste davon starb 1958 im hohen Alter von 91 Jahren in Ems (Barbara Seglias-Willi).

 

Doch wenden wir uns nun dem ältesten Sohn des Gion Gierè „Brunnameister“ zu. Er wurde 1829 in Ems geboren und auf den Namen Joseph Anton getauft. Nachdem er vorerst als Knecht am Priesterseminar in Chur gearbeitet hatte, streckte ihm sein Grossvater mütterlicherseits das Lehrgeld von 300 Gulden vor, so dass er seine Mechanikerlehre antreten konnte. Diese absolvierte er in der Werkstätte des damals bekannten Luzius Botschneider an der Sägestrasse in Chur (später Eisen-Konstruktionswerkstätte Trippeli; heute Merkle). Nach mehrjähriger Wanderschaft gründete er 1855 eine vermutlich bescheidene Werkstätte in Ems, welche 1859 nach Chur verlegt wurde. Daraus sollte viel später (1945) die Machenfabrik Georg Willy AG hervorgehen, welche ja seit 1962 wieder auf Emser Gemeindegebiet ansässig ist.

 

Die ersten Churer Willy-Werkstätte befand sich hinter dem Sand am Mühlbach beim Plessurfall, wo sich unser Mechaniker rasch aus den einfachsten Verhältnissen emporarbeitete. Später zog „Il mecanicer“ wie er in Ems hiess, mit seiner Familie und Werkstätte an den vorderen Sand (Münzweg). Hier hatte sich Joseph Anton Willy zunächst vor allem auf die Herstellung von Wasserrädern, Turbinen, Müllerei- und Sägereimaschinen sowie später auch auf Wasserleitungen und Hydranten spezialisiert, welche im ganzen Kanton installiert wurden.

 

Seiner 1. Ehe mit Maria Ursula Saluz entspross 1857 Joseph Willi (Sohn). Nach dem frühen Tod seiner Frau heiratete er deren Schwester Walburga und als diese 1877 ebenfalls starb, verheiratete er sich ein drittes Mal mit Julia Venzin aus Rabius. Diese schenkte ihm drei Kinder, nämlich Gion, Georg und Pia. Joseph Anton Willy starb vor ziemlich genau 80 Jahren; seine dritte Frau 1921. Nach dem Tode von Joseph Anton Willy ging die Mechanische Werkstätte an seinen Sohn Georg über, welche den Betrieb nach und nach vergrösserte und zu einer Maschinenfabrik ausbaute. Das Unternehmen ist heute nicht mehr im Besitz der Familie Willy – der Name Georg Willy AG erinnert jedoch weiterhin an einen Familie, die einen bedeutenden Teil der Bündner Gewerbe- und Industriegeschichte geschrieben hat und teilweise schreibt!

 

Die drei jüngeren Brüder von Joseph Anton Willy wanderten 1867 nach Amerika aus und liessen sich im Staat Nebraska nieder. Sie leisteten dort auf lokaler Ebene ebenfalls Pionierarbeit. Heute leben rund 80 Willy-Nachkommen in den Vereinigten Staaten. Mehrere davon haben seit der Wiederaufnahme der Kontakte, d. h. nach 1969 Chur und Ems besucht.

 

Der älteste Sohn des Joseph Anton Willy, der 1857 geborene Joseph, musste schon als Hof- und später Kantonsschüler in der Freizeit und während den Ferien an der Drehbank im väterlichen Unternehmen arbeiten. Nachdem er eine 3 jährige Lehrzeit beendet hatte, belegte Joseph vier Semester am Technikum in Winterthur. Dann musste er in die väterliche Werkstatt zurückkehren. Ende 1877 fand im Kant. Zeughaus in Chur die erste bündnerische Gewerbeausstellung statt.

 

Im Herbst 1878 fuhr Joseph an die Weltausstellung nach Paris und sammelte dort anschliessend praktische Erfahrungen in grösseren Betrieben. An der Weltausstellung sah Willi wohl auch zum ersten Mal die Anwendungsmöglichkeiten der Elektrizität. Nach seiner Rückkehr nach Chur galt es nun, den Ideenreichtum in die Tat umzusetzen. Dass ihm dies nicht immer auf Anhieb gelungen ist, beweist die folgende Geschichte: wir zitieren aus seinen Nachruf „Die Willy Werkstätte im Sand hatte zirka um das Jahr 1880 das erste Elektrizitätswerklein in der Stadt. Da hat der junge Willi allerhand probiert mit einem Wagemut, der ihm zeitlebens eigen blieb. Mit herzlichen Lachen erzählte er von den kühnen Plänen, die er mit dem damaligen Gesellenpräses Christian Modest Tuor, für die elektrische Beleuchtung in der Kathedrale entworfen. Eine Leitung durch den Wingert hinauf – wahrscheinlich zur Zeit, da an der sonnigen Halde die Trauben reiften – durch die untere Sakristei und Krypta hinaus und ins Gewölbe hinauf war bald gelegt. Zwei Bogenlampen paradierten vom Gewölbe herunter, zwischen den alten Kohlenstangen flammte es plötzlich auf, dann ein Surren, dass das Wort Gottes fast unverständlich wurde, und schliesslich nach einem gehörigen Klapf ein undurchdringliches Grabesdunkel, das war das Ende des Experimentes. Das Finale bestand dann in einer Apostrophe à la Domcustos Tuor, die an Vehemenz und Temparament den domherrüblichen Rahmen fast sprengte.“

 

Nachdem es dem Jungunternehmer im väterlichen Betrieb zu eng geworden war, gründete er 1889 an der Kasernenstrasse eine eigene Werkstätte. Es war wohl seinem Weitblick für die Bedürfnisse der neuen Zeit zu verdanken, dass das Geschäft durch die Angliederung neuer Zweige sowie durch bauliche Erweiterungen zu einer stattlichen Maschinenfabrik ausgebaut werden konnte.

 

1888 verheiratete sich Joseph Willi mit Elisa von Vincenz von Disentis/Mustér. Aus dieser Ehe gingen neun Kinder hervor. Beim Calvenfestspiel von 1899 war Hauptmann Willi der Anführer der Kaiserlichen. Als Tenor sang er während 66 Jahren im Cäcilienchor und 55 Jahre lang im Männerchor Chur. Man beneidete diese Vereine um einen solch begabten Sänger. Joseph Willi starb 1939 im Johannesstift in Zizers. Seine Frau Elisa folgte ihm 1944 im Tode.

 

Der Mechaniker Joseph Anton Willy und seine Söhne haben in Graubünden ein gutes Stück Pionierarbeit geleistet – jeder auf seine ihm eigene Art und Weise. Diese Arbeit betraf nicht nur die Technik allein. Joseph Willi Sohn hatte seinerzeit als erstes Geschäft in Chur weibliche Büroangestellte beschäftigt – Georg Willy führte u. W. als erster in Chur in seinem Unternehmen die 5-Tage-Woche ein!

 

Auf das Lebenswerk dieser Ihrer Vorfahren dürfen Sie heute mit Recht stolz sein.